Roeland van Roosbroeck (Lov)
Das war kein leeres Schwärmen
Wie ich zur Verbindung gekommen bin
Als ich 2012 im belgischen Leuven mit dem Studium begonnen habe, hat mich das Studentenwesen begeistert. Ich erinnere mich an meinen ersten Cantus, als sei er gestern gewesen. Was ein Cantus ist? In Flandern heißt das nicht einfach ein Lied wie in Deutschland, sondern es ist der Name einer Veranstaltung, die man am besten mit einer Kneipe oder einem Kommers vergleichen kann. Meist viel lockerer und inoffizieller, aber die Essenz ist die gleiche: Man singt zusammen Studenten-, Volks- und Traditionslieder, trinkt gemeinsam Bier, und das alles in einem organisierten, von einem Präsiden geführten Rahmen.
Diese Tradition, diese Kontinuität zwischen Generationen, empfand ich als etwas Schönes, das es zu erkunden, zu bewahren, weiterzugeben gilt. Im Laufe meines Studiums habe ich mich immer mehr vertieft in die Wurzeln des Couleurstudententums und die Herkunft der Liedertradition. So bin ich auf das deutsche Verbindungswesen gestoßen; einerseits, weil es nicht leicht war, Aufnahmen von flämischen Studentenliedern zu finden. So erinnere ich mich, dass ich im dritten Semester zu Weihnachten eine CD – ja, damals hat man noch CDs gekauft – mit deutschen, nicht mit flämischen Studentenliedern geschenkt bekommen habe; anderseits aber auch, weil die Wurzeln des flämischen Couleurstudententums in Deutschland liegen.
Die oben genannte CD heißt übrigens „Alt-Heidelberg“, und so kam es, dass ich auf dem Rückweg von einem Sommerurlaub in Italien einen Besuch in Heidelberg einplante und mir dort voller Begeisterung die Häuser der Studentenverbindungen angeschaut habe. In einem dieser Häuser fand ein rundes Stiftungsfest statt: auf der Terrasse saßen die Aktiven und Alten Herren – geschmackvoll in Anzug und in vollen Farben – mit ihren Freundinnen und Familien, auf der Straße traf ich einen Alten Herrn im Alter meines Großvaters mit Band und Ehefrau – die beide lagen ihm ohne Zweifel gleich viel am Herzen. Das wollte ich auch erleben!
Aus der Literatur war mir bekannt, dass es solch einen Lebensbund auch in Leuven geben musste. Denn in Leuven gab es die KAV Lovania, eine deutsche Verbindung, die 1896 von einem Alten Herrn der Bavaria Bonn gegründet worden war. Zu Beginn des neuen Semesters lernte ich schnell einige deutsche Verbindungsstudenten kennen (ich war in vielen anderen Studentenvereinen engagiert), darunter auch meinen künftigen Leibvater. Dieser nahm während seines Erasmussemesters das Band der Lovania auf und lud mich ein. Kurz danach lief ich als Fux stolz mit Band und Mütze durch die Stadt.
Wieso ich bei der Verbindung geblieben bin
Bei Lovania öffnete sich mir eine neue Welt, und es musste viel Neues gelernt werden, wie es die alten deutschen Bräuche verlangen. Zuerst: die Sprache. Obwohl ich Deutsch in der Schule gelernt hatte, brachte der stetige Austausch mit Cartellbrüdern aus Deutschland eine steile Lernkurve mit sich, was glücklicherweise vom froh fließenden Bier vereinfacht wurde. Dann: die Geschichte und Herkunft der Verbindung. Denn wenn man nicht weiß, woher man kommt, wie soll man dann wissen, wohin man geht? Und natürlich: die Regeln, der Comment. Wie kleidet man sich für welche Veranstaltung? Couleurfähig – so klang das neue Vokabular –, stillvoll, klassisch. Wie verhält man sich richtig und höflich Alten Herren, Gästen und Damen gegenüber? Wie lebt man richtig ein Ritual oder eine Zeremonie? Mit Respekt und Liebe, sodass man nicht sich selbst ins Zentrum stellt, sondern sich selbst darin verliert und als Ausführer und Weitergeber der Tradition sieht, zu gleicher Zeit mit der nötigen Freude, Humor und Leichtherzigkeit. Es war und ist eine unersetzliche Lernschule, besonders in unserer heutigen Zeit. Und zum Schluss: der Glaube. Ich war zwar als Kind katholisch aufgewachsen, aber hatte in meinen Pubertätsjahren den Bezug zum Glauben großteils verloren. Plötzlich war ich umgeben von Menschen in meinem Alter, die ihren Glauben praktizierten, die darüber redeten. Dies hat mich intellektuell gefördert, hat mich als Person wachsen lassen und zuletzt auch meine Freundschaften vertieft. Das galt nicht nur für die Verbindung, wo man im Sinne der Amicitia Freundschaften fürs Leben knüpft, sondern auch außerhalb, weil der Glaube eine neue Dimension in meine Beziehung zu anderen Menschen hinzugefügt hat.
Mir war aber auch deutlich geworden: Diese Welt wollte ich weiter erkunden. Nach meiner Fuxenzeit zog ich für einen Ferienkurs nach Heidelberg, wo ich einen wunderschönen Monat bei Arminia verbringen durfte. Aber ein Monat war nicht genug. Nach meinem Masterstudium im Ingenieurswesen zog ich für einen zusätzlichen Master in Wirtschaft und Finance nach Tübingen, wo ich das Band der Guestfalia aufgenommen habe. Im Gegensatz zu vielen anderen internationalen Studenten lernte ich dadurch viele deutsche (also „einheimische“) Studenten kennen und knüpfte Freundschaften, die weit über den Auslandsaufenthalt hinaus weiterleben.
Warum ich immer zurückkehre Ob es Leuven oder Tübingen sei (oder sogar ein bisschen Heidelberg): Wenn ich die Stadt betrete, fühlt es sich immer wieder wie ein Nachhausekommen an. Denn dort steht ein Haus, wo ich zu Hause bin. Wo in meinen ehemaligen WGs jetzt Unbekannte wohnen, bleiben die Häuser der Lovania und der Guestfalia für immer das schlagende Herz der vielen Freundschaften, die sich in das Band um meine Brust vereinen. Und ich weiß: Das war kein Traum, kein leeres Schwärmen … .
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