Georg Remelé (Wf)
Sich in einer kleinen Führungsposition ausprobieren.
Ich habe in meiner Winfridia eine zweite Heimat gefunden.
Nach Abitur und einem achtmonatigen Bundesfreiwilligendienst im Krankenhaus meiner fränkischen Heimatstadt Schweinfurt stand für mich die Wahl des Studienortes an. Ich hatte mich für Humanmedizin beworben und wollte für diesen neuen Lebensabschnitt – den schönsten, wie ich immer hörte und jetzt definitiv bestätigen kann – einen topographisch und kulturell neuen Landstrich Deutschlands kennenlernen. So fiel meine Wahl auf das westfälische Münster, da mich hier Stadtgröße, Stadthistorie sowie der Ruf der Medizinischen Fakultät überzeugten. Mein Vater, der bei der KDStV Franco-Raetia Würzburg korporiert ist, schlug mir vor, bei einer CV-Verbindung am Ort vorbeizusehen. Die Gründe lagen auf der Hand. Nicht nur spielt der katholische Glaube in meinem Leben eine zentrale Rolle, auch interessiere ich mich für viele Fächer neben der Medizin. Zudem würde mir eine Verbindung helfen, als Fremder in einer vollkommen neuen Stadt gut Fuß zu fassen.
Da mein Urgroßvater Josef Priemer in Breslau bei der KDStV Winfridia Breslau zu Münster im März 1919 recipiert wurde, stand die erste Anlaufadresse in der MCV-Welt bereits fest. Schon am ersten Abend auf dem Winfriden-Verbindungshaus, das am Fuße des Hohen St. Paulus-Doms liegt, imponierten mir die Vertrautheit und das Grundinteresse, das mir die späteren Bundesbrüder von Anfang an entgegenbrachten. Sogleich bekam ich am folgenden Morgen eine Stadtführung und unterschrieb in meiner ersten Studienwoche den Deckel. Noch unter dem Eindruck der Corona-Pandemie und des begonnenen Hausumbaus zählte mein Fuxenstall drei junge Akademiker, wodurch sich die Möglichkeit ergab, intensivere Kontakte zu den Burschen am Ort aufzubauen. In meinen ersten Semesterferien machte ich sogleich mit meinem Leibvater eine England-Reise. Besonders begeisterte mich die Vielfalt der Studienfächer und Charaktere, die ich bei meiner lieben Winfridia fand, und ich war froh, auch mal nicht allein über mein Studienfach zu reden, wie das unter Medizinern ja häufiger der Fall ist, sondern auch über Politik, Geschichte, Theologie und das Weltgeschehen. Das Konzept des Convents empfand ich von Anfang an ebenfalls sehr spannend, lernt man doch auf kleinster Ebene, wie die Parlamente in unserem Land funktionieren: mit Tagesordnung, Rednerliste und dem wichtigen Antrag auf Schluss der Debatte.
Nach einigen Wochen kannte ich Münster mit seiner spannenden Historie besser als meine Münsteraner Freunde aus dem Studium. Sonntags besuchen wir Bundesbrüder das Kapitelsamt im Hohen St. Paulus-Dom und diskutieren abends über Gott und die Welt. Jedes der Verbindungsmomente, sei es an einem einfachen Tresenabend, an einem Arbeitstag oder bei einer Aktivenfahrt, stärkt diesen einzigartigen Zusammenhalt und die daraus wachsende Treue zwischen Fuxen, Burschen und Alten Herren.
Einen weiteren großen Gewinn von Verbindung sehe ich darin, dass man im behüteten Rahmen Verantwortung übernehmen darf, sich selbst dabei in einer kleinen Führungsposition ausprobieren kann und sich so charakterlich weiterentwickelt. Nachdem ich die Charge des Schriftführers in meinem ersten Studienjahr bekleidete, schreibe ich diese Zeilen als aktueller
Senior meiner lieben Winfridia in ihrem 335. Couleursemester. Ein Hohepunkt war in meiner Amtszeit der Festakt anlässlich der beendeten Renovierungsarbeiten an unserer Bastei, die ihren Namen der Basteigasse 6 verdankt, der Anschrift unseres ersten Verbindungshauses in Breslau. Die Neubegrundung in Münster jährte sich 2023 zum 75. Mal, und so gab es zwei feierliche Anlässe, die durch die überaus gut besuchte Kneipe einen gelungenen Abschluss fanden.
Über die vier Semester hinweg durfte ich wunderschöne Orte besuchen und die verschiedensten Menschen kennenlernen. So fuhr ich nach Leuven zum Stiftungsfest der KAV Lovania zu Löwen, zu den Gründungsfesten der KDStV Aenania im CV zu München – unserer geschätzten Schwesterverbindung -, ins Allgäu zum Skifahren oder zum Grünkohl- und Wildschweinessen bei Alten Herren im Sauerland. So bin ich genauso wie mein Urgroßvater, Großvater – der bei der KDStV Suevia Berlin und der KDStV Teutonia Fribourg aktiv war – und genauso wie mein Vater fasziniert und getragen von dem Konzept von katholischen, deutschen Studentenverbindungen. In Munster habe ich in meiner Winfridia eine zweite Heimat gefunden.
Weitere Beiträge in dieser Kategorie